Die Silhouetten von fünf Personen vor einem Geysir auf Lavagestein

Woran erkennt man eine Sekte?

Merkmale einer Sekte mit Beispielen und Fragen zur Reflexion
Weiterlesen...

Inhaltsverzeichnis

Übertreibe ich oder geht das wirklich zu weit?

Ist das vielleicht keine so harmlose Glaubensgemeinschaft, in der ich aufgewachsen bin?

Diese Treffen, an denen meine Freundin neuerdings teilnimmt, sind die von einer Sekte organisiert?

Stelle ich mich da nur an oder geht das zu weit, was die von mir verlangen?

Sollte ich doch eher vorsichtig sein mit diesen Leuten vom Festival?

Tut dieser Meditationskreis mir gut oder wird das doch irgendwie komisch?

Es gibt keine objektive Schablone, die eine Gruppe als „Sekte“ identifiziert. Und das muss es auch nicht. Denn es geht vielmehr darum, dass du weißt, anhand welcher Kriterien du anfangen kannst, zu hinterfragen, was du beobachtest, erlebst oder erzählt bekommst.

Deine eigene Wahrnehmung ist wichtig und ihr zu vertrauen wesentlich. Da es manchmal schwierig ist, einzusortieren, was man wahrnimmt, soll dich der folgende Artikel dabei unterstützen.

Hier noch einige „organisatorische“ Hinweise bevor du reinspringst:

Du findest hier im ersten Teil eine große, aber nicht abschließende, Sammlung von Merkmalen destruktiver Tendenzen in einer Gruppe mit typischen Beispielen. Manchmal trifft nur ein Merkmal zu, manchmal alle.

Als Gegensatz dazu kannst du im zweiten Teil einen Auszug aus der Erklärung der Menschenrechte lesen. Je mehr die Gruppe im Widerspruch dazu steht, desto problematischer.

Das ist die Basis für die Fragen, die ich dir im dritten Teil zusammengestellt habe: sie sollen dir mehr Klarheit für deine persönliche Situation bringen.

Am besten du speicherst dir diesen Artikel in deinen Lesezeichen: er ist lang und du wirst sicher mehr als einmal reinlesen wollen.

Bitte wende dich mit deinen Fragen zusätzlich an eine Sektenberatungsstelle in deiner Nähe. Ein Artikel ersetzt kein ausführliches Gespräch mit einerm Expertin !

Hände einer Menschenmenge vor dem leuchtenden Schriftzug "Jesus"

Eine Sekte – was soll das sein?

Grundsätzlich behauptet keine Gruppe von sich selbst eine Sekte zu sein. Wer steht schon freiwillig für Manipulation, Indoktrination und Massensuizide? Bereits deswegen bleiben Sekten stets die anderen.

Aber auch in Fachliteratur und Beratung wird der Begriff vermieden. Er gilt als unscharf und polemisch. Stattdessen wird z. B. gesprochen von

  • destruktiven, problematischen, radikalen oder extremistischen Gruppen,
  • neureligiösen Bewegungen,
  • weltanschaulichen Gemeinschaften,
  • fundamentalistischen Glaubensgemeinschaften und
  • v.a. im angloamerikanischen Raum von Kulten.

Ich finde die Bezeichnung „destruktive Gruppe“ an dieser Stelle am besten, denn sie bleibt z. B. dafür offen, dass „sektenhafte“ Tendenzen auch in Kontexten vorkommen, die sich nicht primär auf Religion beziehen.

Bei den Gruppen, von denen hier die Rede ist, richtet sich das Destruktive hauptsächlich gegen die eigenen Mitglieder und weniger nach außen; also anders als bei extremistischen Gruppen wie z. B. dem IS.

Umgangssprachlich werden destruktive Gruppen immer noch meistens Sekten genannt, deswegen findest du diesen Begriff in den Überschriften des Artikels. Im folgenden verwende ich aber destruktive Gruppe als Bezeichnung.

So, was sind nun Merkmale einer destruktiven Gruppe? Legen wir los:

Das geschlossene Welt- und Menschenbild einer Sekte

Die Ideologie

Die Basis der Gruppe ist eine gemeinsame Ideologie: darin stecken Überzeugungen, Meinungen und Werte wie die Welt und Menschen sind bzw. sein sollen. Sie gelten verbindlich für alle Mitglieder.

z. B. so etwas wie „allein Gott hat die Welt geschaffen“, „der Mensch ist im Grunde schlecht“, „gehorsam zu sein ist alles“

Dieses Welt- und Menschenbild kann inhaltlich praktisch jede Form annehmen: religiöse, spirituelle, esoterische, aber auch z. B. politische oder psychologische Konzepte können im ideologischen Zentrum stehen. Darum treten destruktive Gruppen manchmal auch in unerwarteten Kontexten auf.

z. B. als Glaubensgemeinschaft, aber auch als Lebensberatung, politischer Verein, wirtschaftliches Unternehmen

Grundsätzlich gibt es das Gute und das Böse, das Richtige und das Falsche. Die absolute, also einzige und vollkommene, Wahrheit ist unantastbar. Auch komplexe Zusammenhänge können damit vereinfacht erklärt werden – alles lässt sich auf Basis der Ideologie deuten und einordnen.

z. B. „ungläubige Menschen sind schlecht“, „Menschen leiden nur, weil sie ihr Ego nicht überwunden haben“, „Gott ist allmächtig und alles, was passiert, hat einen Sinn“, „die Bibel hat für alles die richtige Antwort“

Die auserwählte Gruppe

Im Gegensatz zur restlichen Welt hat die Gruppe nicht nur Zugang zu dieser exklusiven Wahrheit, sondern auch wertvolle, höhere Ziele: ihre Mitglieder bewahren und beleben diese Überzeugungen und gehören deswegen zu einer Elite. Das verleiht ihnen die besonderen Macht das Böse und Falsche zu überwinden und damit die Welt und / oder sich selbst zu retten.

z. B. versucht die Gruppe durch besondere Meditationen, die nur sie kennt, die Welt auf ein neues göttliches Bewusstsein vorzubereiten oder von Satan zu befreien

Dazu gehört meistens die Idee einer Art Apokalypse: jeden Moment könnte die Welt enden so wie sie ist. Anschließend werden (ausgewählte) Gruppenmitglieder in einer neuen Welt erlöst – häufig während alle anderen leiden oder sterben.

z. B. in Ideen wie „wir Auserwählte werden am letzten Tag durch Außerirdische abgeholt“ oder „wir werden nicht sterben, sondern von Gott ins friedliche Paradies eines ewigen Lebens geführt“

Die Quellen der Ideologie

Dieses Welt- und Menschenbild wird durch spezielle Schriften und / oder Aussagen bestimmter Personen begründet und vermittelt.

z. B. durch die Bibel oder von einem Medium empfangene Engelsbotschaften

Diese werden meistens nur in Bezug auf sich selbst interpretiert und ausgelegt, so dass keine abweichenden Ideen oder Einflüsse die geschlossene Ideologie stören.

Auf diese gedankliche Basis bezieht sich die gesamte Gruppe. Dabei gibt es allerdings immer Mitglieder, die „der Wahrheit näher stehen“ und damit über den anderen:

Die festen Strukturen in einer Sekte

Hierarchische Gruppenstruktur

Meistens gibt es eine*n oder mehrere, selbsternannte Führer*innen der Gruppe, die verehrt werden (müssen). Sie vertreten und vermitteln die Ideologie als oberste Instanz. Meistens wirken sie charismatisch, d. h. sie sind überzeugungsstark und besonders gut darin, andere Menschen zu „erspüren“ und dadurch zu beeinflussen.

z. B. zeigt sich das in Aussagen von Mitgliedern wie „er ist sehr faszinierend und anziehend“, „ich habe bei ihm das Gefühl, das erste Mal im Leben tatsächlich mit dem Potenzial erkannt zu werden, das ich wirklich habe“

Die übrigen Mitglieder sind in einer strengen, autoritär geführten Hierarchie organisiert: eine Tatsache, die manchmal nicht von vornherein erkennbar ist.

In eine höhere Stufe aufzusteigen ist schwierig bis unmöglich. Trotzdem bleibt das Streben danach die Forderung der Führenden und damit Ziel der Mitglieder.

Diese undurchlässigen Strukturen werden zementiert durch Pflichten und feste Regeln:

Pflichten als Mitglied

Als Voraussetzung für die Gruppenzugehörigkeit werden den Gruppenmitgliedern – je nach Hierarchiestufe – verschiedene Pflichten aufgeladen. Meistens sind das mindestens folgende:

Verlangt wird eine intensive Auseinandersetzung mit den ideologischen Inhalten, eine loyale Bekenntnis dazu und die regelmäßige Teilnahme am Gruppenprogramm.

z. B. stundenlanges Lesen der Bibel, Absolvieren von Selbstoptimierungs-Coachings oder Teilnahme an Versammlungen

Auch sollen weitere Menschen in die Gruppe gebracht werden: zu missionieren ist oft eine Selbstverständlichkeit.

z. B. gezieltes Anwerben weiterer Menschen im persönlichen Gespräch oder durch Verteilung von Informationsmaterial

Daneben wird häufig ein erheblicher geldwerter bzw. finanzieller Einsatz erwartet und gefordert.

z. B. durch unbezahlte land- oder hauswirtschaftliche Tätigkeiten, Schenkung eines geerbten Grundstücks, monatliche Spenden oder dem Bezahlen gruppeninterner Kurse

Weitere Pflichten ergeben sich aus den gruppeneigenen Regeln und Normen:

Regeln für das tägliche Leben

Damit Mitglieder das höhere Ziel im Rahmen der Ideologie (angeblich) erreichen, sollen sie darüber hinaus diverse Regeln beachten. So ordnen Mitglieder teilweise ihr komplettes Leben der Gruppe unter – je nach Vorgaben und Eifer des einzelnen Mitglieds.

Nicht nur das Durchführen von Ritualen und der daran orientierte Tagesablauf ist vorgeschrieben. Auch die Art persönlicher und intimer Beziehungen, Sexualität, Kleidung, Ernährung, Hygiene, der Umgang mit Geld u. ä. wird festgelegt.

z. B. Meditation vor Sonnenaufgang, kein Sex vor der Ehe, regelmäßiges Fasten, das Tragen ausschließlich weißer Kleidung

Zentral dabei ist, dass Mitglieder die geforderte Perfektion in ihrem Handeln nicht oder kaum erreichen können. Es bleibt dadurch stets das Gefühl nicht genug zu leisten bzw. nicht genug zu sein und sich mehr engagieren zu müssen.

Das alles zusammen nimmt oft so extreme Ausmaße an, dass Mitgliedern keine selbstgestaltete Frei- und Erholungszeit bleibt.

Damit Menschen das dauerhaft mitmachen, werden diese Strukturen mit folgenden Methoden gesichert – alles mit Verweis auf den (angeblichen) Zweck für das große Ziel:

Gewaltvolle Methoden einer Sekte

Kontrolle

Im Zentrum steht die Kontrolle. Jedes Verhalten wird überwacht: nicht nur Aktivitäten in der Gruppe, auch die alltägliche Lebensgestaltung. Die Privatsphäre wird dafür oft wie selbstverständlich übergangen.

z. B. muss man sich gegenseitig beobachten, die Erledigung von Aufgaben beweisen, darf man Türen dürfen im Beisein von anderen nicht schließen

Außerdem sorgt die Gruppe dafür, dass ein neues Mitglied schnell eine innere Instanz zur Selbstkontrolle erschafft. Auf diese Weise werden Gedanken und Emotionen stark beeinflusst.

z. B. durch Botschaften wie „Gott sieht alles“, „wir können in dein Inneres sehen und werden merken, wenn du die Regeln nicht befolgst“

Zweifel und Kritik an Ideologie und (hochrangigen) Gruppenmitgliedern sind unerwünscht bis verboten und werden im Sinne der Ideologie gedeutet.

z. B. mit Botschaften wie „Gott irrt sich nie“, „deine Zweifel sind der Beweis für den Einfluss negativer Energien“

Isolation

Um Einflüsse aus dem Rest der Welt abzuschirmen, werden die Mitglieder isoliert. Persönliche Kontakte außerhalb der Gruppe sind unerwünscht und höchstens zum Anwerben neuer Mitglieder geduldet. Der Bruch mit bisherigen Beziehungen wird bestärkt.

z. B. durch Botschaften wie „andere sind schlechter Einfluss auf dich“, „andere sind durch das Böse geleitet“

Das gilt ebenso für Ausbildung, Beruf, Hobbys und private Interessen. Die Gruppe und ihr Ziel sind stets wichtiger als das Individuum. Persönliche Opfer zu bringen wird daher als selbstverständlich verkauft und gilt als Tugend.

z. B. der Abbruch eines Studiums, um sich auf gruppeninterne Aufgaben zu konzentrieren

Auf diese Weise werden Mitglieder dazu angehalten, ihre Identität aufzugeben und stattdessen eine Gruppenidentität aufzubauen. Diese ist nur kompatibel mit der Gruppe und nicht mehr mit der Welt außerhalb.

z. B. dadurch bilden sich Überzeugungen wie „ich bin jetzt ein neuer Mensch und nur die Gruppe versteht mich“

Die verwendete Sprache weicht dabei häufig von der gewöhnlichen Alltagssprache ab. Durchsetzt von neuen und oft vagen Begriffen bildet sich eine Gruppensprache aus. Ein inhaltlicher Austausch mit Nicht-Mitgliedern ist allein dadurch erschwert.

z. B. Älteste, Reinigungs-Rundown, Indigokinder

Und es geht noch weiter:

Zwang, Strafe und weitere Gewalt

Kommunikation wird zensiert. Nicht nur persönliche Beziehungen, auch der Medienkonsum wird durch die Gruppe definiert.

z. B. wird der Kontakt zu früheren Freundinnen ist verboten,der Besitz von Handys ist untersagt, nur gruppeneigene Schriftstücke gelten als „reine“ und damit erlaubte Literatur

Unerwünschtes Verhalten wird bestraft – je nach Gruppe und Kontext unterschiedlich grausam. Oft wird Gewalt außerdem vorsorglich zur Einschüchterung und willkürlich angewendet .

z. B. durch die Drohung mit Ausschluss aus der Gruppe, Beleidigungen, Schläge, sexuelle Gewalt, Folter

Mitglieder werden häufig zusätzlich gezielt verunsichert und in labile Zustände gebracht.

z. B. durch stundenlanges Meditieren, Fasten, Schlafentzug, Drogen, ständige Beschäftigung

Hält sich ein Mitglied nicht an Vorgaben, müssen die Verstöße der Gruppe oder Vorgesetzten gestanden und wieder „gut gemacht“ werden.

z. B. durch die Verpflichtung zur Beichte oder persönlichen Offenbarung in Gruppensitzungen und die Übernahme von Strafaufgaben

Die Vorgaben nicht zu erfüllen wird als Unfähigkeit des Mitglieds gedeutet. Das gilt häufig auch für gesundheitliche Probleme für die eine medizinische Versorgung verhindert wird.

z. B. mit Botschaften wie „du musst nur stärker werden in deinem Glauben“, „Gott hat dir diese Krankheit als Prüfung geschickt“

Mit der Zeit rückt „die andere Welt“ für ein Mitglied immer weiter in die Ferne. Die Gruppe bedeutet das ganze Leben. Auszutreten wird zunehmend schwieriger. Ganz besonders tragisch ist das für Menschen, die in destruktive Gruppen hineingeboren und nie etwas anders kennengelernt haben.


Wie sehr ein freies Leben in einer destruktiven Gruppe unterdrückt wird, wird mit Blick auf Menschenrechte deutlich. Im folgenden findest du einige Artikel aus der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte in der Übersetzung von Amnesty International. Sie enthalten elementare Rechte und Freiheiten jedes Menschen und sind in ganz Europa anerkannt.

ein Plakat mit der Aufschrift "human rights for future" vor bewölktem Himmel

Das Gegenteil einer Sekte: die Erklärung Allgemeiner Menschenrechte

  • Artikel 1 (Freiheit, Gleichheit, Solidarität)
    Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.
  • Artikel 2 (Verbot der Diskriminierung)
    Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa aufgrund rassistischer Zuschreibungen, nach Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. (…)
  • Artikel 3 (Recht auf Leben und Freiheit)
    Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.
  • Artikel 4 (Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels)
    Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten.
  • Artikel 5 (Verbot der Folter)
    Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. (…)
  • Artikel 10 (Anspruch auf faires Gerichtsverfahren)
    Jeder Mensch hat bei der Feststellung der eigenen Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. (…)
  • Artikel 12 (Freiheitssphäre des Einzelnen)
    Niemand darf willkürlichen Eingriffen in das eigene Privatleben, die eigene Familie, die eigene Wohnung und den eigenen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen der eigenen Ehre und des eigenen Rufes ausgesetzt werden. Jeder Mensch hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.
  • Artikel 13 (Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit)
    Jeder Mensch hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und den Aufenthaltsort frei zu wählen.

    Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen und in das eigene Land zurückzukehren. (…)
  • Artikel 16 (Eheschließung, Familie)
    Heiratsfähige Menschen haben ohne Beschränkung aufgrund von rassistischen Zuschreibungen, aufgrund der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.

    Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatt_innen geschlossen werden.

    Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.
  • Artikel 17 (Recht auf Eigentum)
    Jeder Mensch hat das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben.
    Niemand darf willkürlich des Eigentums beraubt werden.
  • Artikel 18 (Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit)
    Jeder Mensch hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, die Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, die eigene Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.
  • Artikel 19 (Meinungs- und Informationsfreiheit)
    Jeder Mensch hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.
  • Artikel 20 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit)
    Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen.
    Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.
  • Artikel 21 (Allgemeines und gleiches Wahlrecht)
    Jeder Mensch hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten des eigenen Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter_innen mitzuwirken.

    Jeder Mensch hat das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern im eigenen Lande.

    Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muss durch regelmäßige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen.
  • Artikel 22 (Recht auf soziale Sicherheit)
    Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für die eigene Würde und die freie Entwicklung der eigenen Persönlichkeit unentbehrlich sind.
  • Artikel 23 (Recht auf Arbeit, gleichen Lohn)
    Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.

    Jeder Mensch, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

    Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und der eigenen Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.
    Jeder Mensch hat das Recht, zum Schutz der eigenen Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.
  • Artikel 24 (Recht auf Erholung und Freizeit)
    Jeder Mensch hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.
  • Artikel 25 (Recht auf Wohlfahrt)
    Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl für sich selbst und die eigene Familie gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust der eigenen Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.

    Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.
  • Artikel 26 (Recht auf Bildung)
    Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zumindest der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.

    Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen Gruppen, unabhängig von Herkunft und Religion, beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.

    Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteilwerden soll.
  • Artikel 27 (Freiheit des Kulturlebens)
    Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.

    Alle Menschen haben das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihnen als Urheber_innen von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen. (…)
Blauer Vogel fliegt horizontal vor weißem Hintergrund

Spürst du, wie sehr das im Gegensatz zu destruktiven Gruppen steht? Die Freiheit und Unversehrtheit aller Menschen soll davon geschützt werden. Niemand, auch keine noch so überzeugende Gruppe, darf diese Rechte einfach so verletzen!

Vielleicht ist dir selbst schon einiges aufgefallen, was in der Gruppe, an die du denkst, nicht gut läuft. Damit du Schritt für Schritt die einzelnen Aspekte nochmal genau prüfen kannst, habe ich dir im folgenden einige Fragen zusammengestellt.

Auch das ist keine vollständige Sammlung und jede Gruppe hat verschiedene Ausprägungen. Wie gesagt, sie sollen dich beim kritischen Nachdenken unterstützen und sind in diesem Sinne als (aufrüttelnde) Inspiration gedacht; sie sind weder eine rechtliche Einordnung noch eine Beratung.

Jede Frage, die du hier mit Ja beantworten kannst, ist eine zu viel. Bitte rufe die Polizei über die 110, falls du oder jemand anderes sich in akuter Gefahr befindet und wende dich an eine Anlaufstelle in Notlagen.

Eine Sekte erkennen: Fragen zur leichteren Einschätzung

Das geschlossene Welt- und Menschenbild

Ist Voraussetzung dafür, dass du zur Gruppe gehören darfst, dass du (exakt) ihr Welt- und Menschenbild teilst? Musst du dich zur Ideologie der Gruppe bekennen und Loyalität versprechen?

Verspricht die Gruppe etwas sehr Großes wie Lebensglück, Reichtum, Heilung schwerer Krankheiten oder spirituelle Erleuchtung?

Sind die Aussagen der Gruppe die einzig richtigen und gibt es daneben keine andere zulässige Perspektiven?

Steht nach Aussage der Gruppe eine Apokalypse bevor? Hält sich die Gruppe als dazu auserwählt die Welt bzw. sich selbst zu retten? Verleiht eine Art Geheimwissen die Macht dazu?

Gelten (bestimmte) Menschen innerhalb oder außerhalb der Gruppe als weniger wert? Werden ihnen Freiheit, Würde und Rechte abgesprochen?

Wenn ja, wird die Unterscheidung getroffen nach rassistischen Zuschreibungen, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand?

Die festen Strukturen

Hierarchische Gruppenstruktur

Gibt es eine*n oder mehrere, selbsternannte Führer*innen der Gruppe, der*die verehrt werden? Ist die Gruppe streng hierarchisch organisiert?

Wirst du angehalten, dich mehr zu engagieren um weiter nach oben aufzusteigen? Ist das schwierig und erfordert sehr viel Einsatz von dir?

Pflichten als Mitglied

Hast du viele Pflichten für die Gruppe zu erfüllen und musst oft an gruppeninternen Veranstaltungen teilnehmen?

Sollst du weitere Menschen in die Gruppe bringen? Bist du vielleicht sogar dazu verpflichtet, deine Versuche zu dokumentieren?

Zahlst du viel Geld für Gruppenangebote? Wird von dir erwartet regelmäßig zu spenden? Bist du dazu angehalten unbezahlt für die Gruppe zu arbeiten? Wird dir verboten Eigentum zu haben?

Verlierst oder verringerst du dadurch einen Lebensstandard, der deine Gesundheit für dich und deine Familie gewährleistet (z. B. genug Nahrung, Kleidung, eine Wohnung, Zugang zu ärztlicher Versorgung und soziale Leistungen)? Könnte das in Zukunft passieren?

Regeln für das tägliche Leben

Gibt es für (fast) alles verbindliche Regeln, die du mit Blick auf das höhere Ziel befolgen sollst? Gibt es viele Rituale? Ist auch der Umgang mit sehr persönlichen Bereiche wie Sexualität oder Ernährung vorgeschrieben?

Hast du das Gefühl nicht alles erreichen und befolgen zu können, was von dir gefordert wird? Fühlst du dich manchmal ausgebrannt?

Hast du kaum Zeit und Raum, um alleine zu sein und deine freie Zeit selbst zu gestalten? Kannst du dich nicht oder nur selten erholen?

Die gewaltvollen Methoden

Kontrolle

Wird überwacht, was du tust? Ist ständig jemand aus der Gruppe bei dir?

Wird in dein Privatleben, deine Familie, Wohnung oder deinen Schriftverkehr eingegriffen? Wirst du daran gehindert dich frei zu bewegen oder deinen Aufenthaltsort frei zu wählen?

Musst du dein Engagement beweisen?

Wird von dir viel Selbstkontrolle und Selbstüberwindung verlangt? Hast du das Gefühl nicht nur dein Verhalten kontrollieren zu müssen, sondern auch deine Gedanken und Gefühle? Fühlst du dich ständig durch eine nicht sichtbare höhere Macht beobachtet?

Sind deine eigene Meinung und insbesondere Zweifel und Kritik an Ideologie oder (höheren) Gruppenmitgliedern unerwünscht? Gelten sie als Beweis dafür, dass du „nicht genug“ an die Ideologie glaubst oder für das höhere Ziel tust und werden sie als schädlicher Einfluss gedeutet?

Isolation

Kontakte

Wirst du darin bestärkt oder aufgefordert, bisherige Beziehungen und Kontakte aufzugeben? Wird das damit begründet, dass sie dich und deine persönliche Entwicklung negativ beeinflussen?

Wird gegenseitige Solidarität, v. a. mit Menschen außerhalb der Gruppe, unterbunden bzw. verboten? Wirst du daran gehindert, dich einer anderen Vereinigung anzuschließen?

Darfst du nur heiraten und eine Familie gründen mit Menschen, die aus Sicht der Gruppe geeignet sind? Hast du bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung weniger oder mehr Rechte als dein*e Partner*in?

Welt außerhalb

Wird dir durch die Gruppe Zugang zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angeboten oder wissenschaftlichem Fortschritt verwehrt?

Wirst du davon abgehalten zu wählen oder dich politisch oder anderweitig zu engagieren?

Bildung und Beruf

Wird Aus(bildung) außerhalb der Gruppe grundsätzlich als überflüssig angesehen? Gelten private Interessen oder Hobbys als schädlich? Stehen dir nur ganz bestimmte Berufe oder Tätigkeiten offen, die für die Gruppe nützlich sind?

Werden in der Bildung, zu der du Zugang hast, ausschließlich Inhalte vermittelt, die der Ideologie entsprechen? Wird die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Achtung vor Menschenrechten und Grundfreiheiten darin vernachlässigt oder verpönt?

Ist es dir verboten zu arbeiten und / oder deinen Beruf frei zu wählen? Wirst du kaum oder gar nicht entlohnt, falls du für die Gruppe arbeitest?

Wirst du zu illegalen Tätigkeiten aufgefordert?

Neue Identität

Hast du den Eindruck durch die Gruppe ein neuer Mensch zu werden? Scheinst du darum immer weniger zur Welt außerhalb der Gruppe zu passen?

Ist es schwierig dich mit Nicht-Mitgliedern inhaltlich über die Gruppe auszutauschen, weil sie die Eigenheiten der Sprache und Begriffe der Gruppe nicht kennen?

Zwang, Strafe und weitere Gewalt

Kommunikation

Wird überwacht und eingeschränkt wie und mit wem du kommunizierst? Sollst du nur bestimmte Medien benutzen und ideologiekonforme Inhalte konsumieren?

Krankheit

Wird dir von medizinischer Versorgung abgeraten? Wird Krankheit als Zeichen dafür interpretiert, dass du noch mehr leisten musst?

Bewusstseins­veränderung

Kommst du durch Praktiken in der Gruppe in andere Bewusstseinszustände, durch die persönliche Probleme weit weg erscheinen, du nicht mehr klar denken kannst oder die Verbindung zu dir und deinem Körper verlierst?

Grenz­überschreitungen

Fühlst du dich unfrei in der Gruppe und kannst dich nicht so zeigen wie du bist? Fühlst du dich unsicher in der Gruppe und hast du z. B. Angst vor anderen Gruppenmitgliedern?

Wird es als Unfähigkeit und Schwäche interpretiert, wenn es dir nicht gelingt Vorgaben der Gruppe zu erfüllen?

Musst du dir einen respektvoller Umgang erst verdienen? Wird deine Würde missachtet und deine Grenzen überschritten? Werden deine Ehre und dein Ruf verletzt oder wird das angedroht?

Ist es dir untersagt, etwas abzulehnen, das die Gruppe vorschreibt und müsstest du dafür negative Konsequenzen befürchten?

Gewalt

Sind in der Gruppe Strafen und psychische und / oder physische Gewalt üblich? Wird das mit dem Erreichen des höheren Ziels der Gruppe gerechtfertigt?

Müssen Verstöße gegen Regeln offenbart und daraus entstandene Schuld wieder gut gemacht werden?

Werden Menschen in oder von deiner Gruppe gefoltert oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen?
 
Wirst du dazu angehalten dir selbst oder anderen Menschen Gewalt zuzufügen?

Werden bei (potenziellen) Verstößen gegen geltende staatliche Gesetze gruppeninterne Gerichtsprozesse abgehalten? Wird ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verhindert?

Werden Menschen von deiner Gruppe als Sklaven oder in Leibeigenschaft gehalten? Wird mit ihnen Handeln betrieben?

Ausstieg

Wird dein Recht zu leben, frei oder sicher zu sein abhängig davon gemacht, ob du Mitglied der Gruppe bist oder bleibst? Wird es davon abhängig gemacht, ob du dich auf eine von der Gruppe geforderte Weise verhältst?

Wenn ja, wird dir beim Verlassen der Gruppe eine Strafe durch die Gruppe oder eine höhere Macht in Aussicht gestellt, die dein Leben, deine Freiheit oder deine Sicherheit bedroht?

Wirst du gezwungen der Gruppe anzugehören und davon abgehalten sie zu verlassen?

Und wie geht es jetzt weiter?

Jede Frage, die du hier mit Ja beantworten kannst, ist eine zu viel. Bitte rufe die Polizei über die 110, falls du oder jemand anderes sich in akuter Gefahr befindet und wende dich an eine Anlaufstelle in Notlagen.

Und dann recherchiere und informiere dich gut, suche Kontakte außerhalb der Gruppe und lass dich unterstützen! Du wirst viele Menschen treffen, die dir die Hand reichen werden. Als ersten Schritt wende dich dafür am besten an eine Beratungsstelle für Sekten in deiner Nähe und kläre anschließend das weitere Vorgehen.

Häufige Fragen

Quellen

  1. Hassan, Steven: Freiheit des Geistes. 2014.
  2. Lalich, Janja / Langone, Michael: Take Back Your Life: Recovering from Cults and Abusive Relationships. 2006
  3. Kaufmann, Kathrin et al.: Sektenkinder. 2021.
  4. Neuberger, Sylvia: Menschen auf der Suche. 2018.
  5. Buchzik, Dana: Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können. 2022.
  6. Gross, Werner: Was eine alternativ–spirituelle Gruppe zum problematischen Kult macht. 1996.
  7. Meredith, Katharina: 18 Signs of a toxic group.