Inhaltsverzeichnis
- Emotionsregulation lernen
- Was es bedeutet, Emotionen zu regulieren
- Emotionsregulation – eine Definition
- Verständnis von Emotionen und ihrem Wechsel
- Kognitive Vorhersagen in Emotionsregulation
- Strategien zur Emotionsregulation
- Situationen verändern
- Für den Körper sorgen
- Emotionen analysieren
- Kreativ werden und Gefühle verändern
- Körperempfindungen beeinflussen
- Elemente einer Emotion umdeuten
- Vielfalt und Tiefe in Gefühlen entwickeln
- Üben, Gefühle auszudrücken
- Fallen im Bereich Emotionsregulation
- In Emotionen als Thema versinken
- Versuchen, Gefühle ständig zu kontrollieren
- Mit der Aufforderung zur Emotionsregulation Macht ausüben
Zu allen Themen in diesem Magazin berate und begleite ich.
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Emotionsregulation lernen
Du kannst diesen Text lesen, also hast du mindestens ein paar Emotionen und kannst sie irgendwie regulieren. Wäre das nicht so, hättest du bisher nicht überlebt.
Das alleine heißt aber nicht, dass es dir angemessen und elegant gelingt, mit deinen Gefühlen umzugehen. Manche Menschen scheinen das wie selbstverständlich zu können. Andere erleben sich ihren Gefühlen ständig ausgeliefert oder haben keinen Bezug zu ihnen.
Das hängt zum einen von der physischen und psychischen Ausgangssituation sowie dem sozialen Umfeld der Kindheit ab. Wer an diesen Stellen wenig Glück hatte, zum anderen unter neurologischen Problemen leidet oder sich von erschütternden Ereignissen nicht erholen konnte, hat etwas zu lernen und zu üben.
Dafür stelle ich hier eine grundlegende Herangehensweise mit einigen konkreten Tipps vor: Entscheidend für deinen Erfolg ist, dass du deine eigenen passenden Strategien entwickeln kannst.
Was es bedeutet, Emotionen zu regulieren
Emotionsregulation – eine Definition
Reguliere ich Emotionen, nehme ich direkt oder indirekt bewussten oder unbewussten Einfluss auf meine Psyche. Als Ergebnis dieses Prozesses verändere ich Art, Zeitpunkt, Qualität oder Ausdruck meiner Emotionen (vgl. Gross 2014).
Emotionsregulation bedeutet demnach nicht nur, Gefühle zu mildern. Ich forme sie um. Auf welche Weise, hängt von der Situation, meinen Möglichkeiten und meinen Absichten ab. Ich kann wütend werden und laut schreien oder mich still entspannen – beides kann eine Regulation meiner Emotionen bzw. dessen Ergebnis sein.
Der Begriff Emotionsdysregulation meint, dass mir das kaum oder nur auf eine Weise gelingt, die mir schadet. Je nach Ausprägung lassen sich im Zusammenhang damit typische Symptome von z. B. Depressionen, Angst-, Essstörungen oder Suchterkrankungen beobachten.
Verständnis von Emotionen und ihrem Wechsel
Für mein Verständnis von Gefühlen verwende ich die Theorie konstruierter Emotionen von Lisa Feldman Barrett.
Kurz gefasst erklären Emotionen
- interozeptive Veränderung (wie z. B. Herzklopfen) sowie
- affektives Erleben (wie angenehm / unangenehm, intensiv / schwach ich erlebe)
- vor dem Hintergrund der aktuellen Situation (was ich wahrnehme, was um mich herum passiert) und
- erstellen daraus ein Rezept für weiteres Handeln.
Spüre ich plötzlich Herzklopfen (interozeptive Veränderung), sehr unangenehm und intensiv (affektives Erleben) und sehe wie jemand schnell auf mich zu läuft (aktuelle Situation), habe ich den Impuls wegzulaufen (Rezept für weiteres Handeln). Das könnte ich z. B. Angst nennen.
Im nächsten Moment erkenne ich meine Freundin, die auf mich zuläuft. Ich erinnere mich an meinen doppelten Espresso und daran, wie Koffein meinen Herzschlag erhöht. Mein Herzklopfen bleibt unangenehm, wirkt aber nicht mehr bedrohlich. Aufgeregt lächle ich meine Freundin an und umarme sie. Das könnte ich dann z. B. Freude nennen.
Der beschriebene Wechsel von Angst zu Freude ist ein Beispiel für eine passende Emotionsregulation. Ich erkläre und bewerte eine Situation neu, wähle eine dazu passende Emotion und drücke sie aus.
Kognitive Vorhersagen in Emotionsregulation
Ob und wie gut mir das gelingt, hängt davon ab, wie treffend ich vorhersagen kann, was im nächsten Moment in meinem Körper und meiner Umwelt vor sich geht. Den größten Teil dieser Vorhersagen stelle ich unbewusst zusammen. Beobachten kann ich sie meistens nur anhand ihrer Auswirkungen wie z. B. Emotionen.
Diese Annahme beruht auf dem Modell des predictive processing, das die grundsätzliche Funktionsweise des Gehirns erklärt. Mehr Informationen findest du in den Artikeln Wie Gefühle entstehen und Was sind Gedanken?.
Um Vorhersagen und damit Gefühle verändern zu können, steht mir grundsätzlich der Einfluss auf meine Psyche, meinen Körper oder deren Umwelt zur Verfügung.
Da wir aber Lebewesen und keine Maschinen sind, kann ich meinen Erfolg oft erst an den Auswirkungen beobachten: Ob Yoga, Meditation, eine Ernährungsumstellung oder etwas völlig anderes den meisten Nutzen hat, zeigt sich erst, wenn man es ausprobiert.
Ich empfehle Verschiedenes in dieser Reihenfolge zu testen:
Strategien zur Emotionsregulation
Situationen verändern
Nicht immer ist es nötig oder sinnvoll mein Erleben zu ändern. Manchmal lohnt es sich zuerst bei einer Situation selbst anzusetzen.
- Kann ich die Situation für mich passender gestalten?
- Ist es besser die Situation zu verlassen?
Ich muss nicht mit jeder Situation und jedem Menschen klarkommen. Das gilt speziell, wenn mir Gewalt angetan wird.
Bevor ich mich auf psychologischer Ebene in meine Emotionen vertiefe, gibt es manchmal naheliegende und einfache andere Möglichkeiten; z. B. jemandem Grenzen zu setzen, joggen zu gehen oder einen Kuchen zu backen.
Für den Körper sorgen
- Wie gut ernähre ich mich?
- Wie gut schlafe ich?
- Wie viel und passend bewege ich mich?
Zentrale Funktion einer Emotion ist es, für den "energetischen Haushalt" des Körpers zu sorgen. Je ungünstiger die Bilanz, desto vehementer wird meine Psyche mich über meine Stimmung und meine Emotionen darauf hinweisen, dass "etwas nicht stimmt".
Erschöpft, gereizt, müde oder unkonzentriert wird es auf Dauer anstrengend mit der Welt umzugehen. Meine unbewussten Vorhersagen tendieren z. B. eher dazu, Gefahr zu unterstellen: Ohne ausreichende körperliche Reserven, ist es sinnvoll früh zu warnen, um das Überleben zu sichern.
Wie kann ich für gute Ernährung, guten Schlaf und ausreichend passende Bewegung sorgen? Hierauf brauche ich gute, umsetzbare Antworten.
Ergänzend deckt ein Blutbild ungünstige Werte auf. Medizinische, auch psychiatrische bzw. neurologische Untersuchungen, liefern weitere Hinweise: Z. B. eine zu niedrige oder zu hohe Aufnahme bestimmter Neurotransmitter, wie bei ADHS, kann es sehr erschweren, Emotionen gezielt zu regulieren.
Es lohnt sich nicht, zu versuchen körperliche Probleme ausschließlich auf psychologischer Ebene zu lösen.
Emotionen analysieren
Wo Gefühle in ihrer Art, dem Zeitpunkt ihres Auftretens, ihrer Qualität oder ihrem Ausdruck immer noch nicht zu passen scheinen, kann ich mich jetzt um Veränderung kümmern.
Zuerst sehe ich sie mir näher an und analysiere, welchen Vorschlag mir meine Psyche mit einer Emotion macht:
- Was soll ich erleben und wie soll ich mich verhalten?
- Wie wirkt sich das aus?
- Ist dieser Vorschlag nützlich und wenn ja, wofür?
Um weiter ins Detail zu gehen, frage ich:
- Welche Körperempfindungen treten auf?
- Wie ist das affektive Erleben?
- Was ist die aktuelle Situation?
- Welche Handlungsimpulse erkenne ich?
Das ist eine Detektivarbeit, mit der ich bestimmte Situationen rekonstruiere. Je kritischer Situationen sind, desto eher werden Details vergessen, die weniger intensiv erlebt wurden. Notizen über ein paar Wochen helfen für einen guten Überblick.
Kreativ werden und Gefühle verändern
Mit diesen vielen Erkenntnissen kann ich beginnen zu experimentieren.
Zunächst entscheide ich mich welchen Aspekt einer Emotion ich (zuerst) verändern möchte: Art, Zeitpunkt, Qualität oder Ausdruck? Dann gilt es kreativ zu werden.
An diesen Punkten orientiere ich mich:
Körperempfindungen beeinflussen
Den größten und schnellsten Erfolg habe ich in der Regel, wenn ich mich um meine Körperempfindungen kümmere. Zur Erinnerung: Das Ziel einer Emotion ist, gut für meinen "Körperhaushalt" zu sorgen.
Das gilt vor allem, wenn ich unter Stress stehe: Rast z. B. mein Herz und es gelingt mir, es so zu beeinflussen, dass es ruhig und regelmäßig schlägt, fühle ich mich anders.
An typischem Stressempfinden ist maßgeblich das autonome Nervensystem beteiligt, das sich z. B. über den Atem beeinflussen lässt. Atme ich länger ein als aus, nimmt meine Erregung zu; ich fühle mich aktivierter. Atme ich länger aus als ein, nimmt sie ab; ich fühle mich entspannter.
Elemente einer Emotion umdeuten
Herzklopfen kann für verliebte Aufregung stehen, aber auch für Panik. Was ist in der betreffenden Situation angemessen?
Körperempfindungen bedeuten erst etwas Bestimmtes, in Kombination mit dem, was in mir und um mich herum passiert. Was genau, konstruiere ich mit meiner Psyche und ich kann es hinterfragen.
Das gilt ebenso für z. B. die Intensität einer Emotion oder den Handlungsimpuls. Das mit einer Emotion verfolgte Ziel kann meistens auf verschiedene Weise erreicht werden.
Manchmal lohnt es sich auch das Ziel zu verändern und eine ganz andere Emotion passt besser. Um auf neue Ideen zu kommen, brauche ich andere Blickwinkel:
Vielfalt und Tiefe in Gefühlen entwickeln
Wie kann ich andere Perspektiven auf eine Situation und meine Emotionen entwickeln?
In neuen Umgebungen viele neue Erfahrungen zu machen hilft. Dazu trägt auch der Austausch mit anderen Menschen bei oder die Beschäftigung mit anderen Kulturen.
Bewusst zu reflektieren, was ich erlebe, unterstützt mich mehr Details und Tiefe in meinen Emotionen wahrzunehmen bzw. zu entwickeln. Mit einiger Übung kann ich in kritischen Situationen darauf zurückzugreifen.
Vielleicht stelle ich dabei fest, dass es mir allgemein schwerfällt Gefühle zu unterscheiden und zu benennen. Das kann darauf hindeuten, dass ich bisher nur wenig verschiedene Gefühlskonzepte kenne und gelernt habe anzuwenden:
Zur ersten Inspiration für mehr Vielfalt dient meine Gefühlsliste. In ihr sind jede Menge Begriffe zu finden, die Gefühle beschreiben.
Üben, Gefühle auszudrücken
Gefühle auszudrücken hat soziale Auswirkungen. Welche genau, ist kulturell unterschiedlich und hängt davon ab, wie Beziehung und Kommunikation der Beteiligten gestaltet sind. Vielfalt und Tiefe im Ausdruck meiner Gefühle unterstützt Vielfalt und Tiefe in meinen sozialen Beziehungen.
Ich entscheide, was und wie viel ich von mir zeigen möchte – wie gut mir das gelingt, werde ich nicht immer kontrollieren können. Ich sollte aber meinen Gefühlsausdruck modulieren können, je nachdem ob ich gerade mit Freundin, Chef oder Paketbote spreche.
Kreative Methoden wie Schauspiel oder Improvisationstanz bieten gute Übungen. Mit vertrauten Menschen über meine Gefühle zu sprechen und sie währenddessen zu fühlen, hilft ebenso sehr.
Mit dem Ausdruck meiner Gefühle kann ich soziale Situationen verändern – und damit spanne ich den Bogen zum Anfang dieser Liste.
Bitte beachte zum Schluss noch diese drei kritischen Punkte:
Fallen im Bereich Emotionsregulation
Gefühle und wie sie am besten zu regulieren sind, sind insbesondere in psychospirituellen Szenen große Themen. Der Umgang damit ist nicht immer hilfreich, im Gegenteil:
In Emotionen als Thema versinken
Die Beschäftigung mit Emotionen ist wertvoll. Wird sie aber zum Selbstzweck und bestimmt als Dauerthema Denken oder Kommunikation, wird hier eher Zeit verschwendet.
Bemerkst du, dass du dich über einen längeren Zeitraum nur noch bei deinen Gefühlen aufhältst, lohnt es sich eine Pause zu machen. Das gilt auch für Gespräche, die sich noch darum drehen, was ich oder du fühlen, ohne dass etwas anderes Relevanz bekommen kann.
Versuchen, Gefühle ständig zu kontrollieren
Viele Menschen beginnen sich mit Emotionen und ihrer Regulation zu beschäftigen im (geheimen) Wunsch immer die Kontrolle über sich selbst zu behalten. Das ist weder nötig noch möglich.
Als Lebewesen befinden wir uns in einem ständigen Tanz mit unserem Körper, anderen Lebewesen und der Welt an sich. Die Eleganz und Geschmeidigkeit dieses Tanzes beruht nicht auf starren Kontrollversuchen, sondern auf Flexibilität. Es wird immer etwas Neues und Ungewisses passieren.
Ebenso wenig kann es darum gehen, mit meiner vermeintlichen Rationalität meine niederen Gefühlstriebe zu kontrollieren. Gefühle sichern unser Überleben und sorgen gut abgestimmt für eine hohe Flexibilität und Handlungsfähigkeit. Sie sind nichts Niederes.
Mit der Aufforderung zur Emotionsregulation Macht ausüben
Die Aufforderung zur Emotionsregulation kann als Machtinstrument genutzt werden. Über den Vorwurf "nicht gut reguliert" zu sein, wird z. B. Inkompetenz im Umgang mit sich und anderen, mangelnde Intelligenz oder Unzurechnungsfähigkeit unterstellt. Gerechtfertigt werden damit im Anschluss z. B. Bevormundung, Ausschluss, Beschämung oder andere Formen psychischer oder physischer Gewalt.
Keine Frage: Der Umgang mit eigenen Gefühlen kann unangemessen und für andere inakzeptabel sein, weil er selbst z. B. Gewalt beinhaltet. Für eine Beurteilung und Lösung der entstehenden Probleme, geht es aber um das Verhalten und dessen Auswirkungen, nicht um die Psyche.
Treten Formen von Psychologisierung und Pathologisierung auf, ist Vorsicht geboten. Gefühle sind Privatsache.
In diesem Sinne wünsche ich dir viel Erfolg beim Entdecken und Regulieren deiner Gefühle. Solltest du dir dabei Unterstützung wünschen, kannst du gerne einen Termin vereinbaren.
Quellen
- Gross, James J.: Emotion Regulation: Conceptual and Empirical Foundations. Kapitel in: Gross, James J. (Hrsg.): Handbook of Emotion Regulation. 2014.
- Barrett, Lisa Feldman: How Emotions Are Made: The Secret Life of the Brain. 2018.
- Barrett, Lisa Feldman et al.: A psychological construction account of emotion regulation and dysregulation: The role of situated conceptualizations. Kapitel in: Gross, James J. (Hrsg.): Handbook of Emotion Regulation. 2014.